Sonntag, 9. Juni 2013

TAG DREIZEHN: Von Bowes nach Middleton-in-Teesdale (ca. 11 Meilen)

Ich habe einen hohen Respekt vor Kühen entwickelt. Seit mich die Kuhmutter gestern Nachmittag angreifen wollte — und das wohl auch zu Recht, es waren mehrere Kälber in der Nähe — bleibe ich jedes mal wie angewurzelt stehen, wenn ich auf Kühe treffe, und sage etwas wie "Oh scheiße." Das habe ich übrigens auch gesagt, als du Kuh gestern auf mich zukam, sich aufbäumte, den Kopf hin- und herschüttelte und schnaubte.
Als ich in Skandinavien war, habe ich mir viel zu dem Thema, wie man mit großen Säugetieren umgeht, die es auf einen abgesehen haben. Bären oder Elche zum Beispiel. Dass ich das bei einer Kuh mal gebrauchen können würde, hätte ich nicht gedacht. Und so habe ich in dem Moment, als sie auf mich zukam, auch prompt alles vergessen und mich umgedreht und bin weggerannt. Wenn sich all die "Wenn du einem Bären begegnest"-Flyer in einem einig waren, dann darin, dass man nicht weglaufen sollte. Gott sei Dank konnte ich mich schnell hinter ein "Cattle Grid", also ein grobes Gitter auf dem Boden, das Kühe und Schafe wegen ihrer Hufe nicht überqueren können, retten.

Heute ergab sich eine neue Gelegenheit. Nachdem ich die erste Kuhherde bereits weiträumig umgangen war und dabei bestimmt fünfzehn Minuten nicht eingespart hatte, stand ich nach dem Öffnen eines Tores zu einer Farm erneut vor einer Kuh. Diese war allein auf der Weide, sah mich an und stand ganz still da. Ich auch. Dazu kam es übrigens heute immer, wenn ich Kühe erspähte: ich still. Sie still. Bestimmt macht es das noch schlimmer.
Ich drückte mich langsam am Farmgebäude an der Kuh vorbei und redete, wie ich es aus den Flyern wusste. Langsam und ruhig. Sie machte einen Schritt auf mich zu. Während mein Gehirn die nächsten Fluchtmöglichkeiten suchte, redete ich noch langsamer und ruhiger. Sie blieb stehen und langsam entfernte ich mich. Irgendwann legte sie sich hin und war so erleichtert, als wäre das Gewicht meines Rucksacks gerade halbiert worden.
Irgendwie geht es also doch. Und eigentlich sind es nur Kühe, Tiere, die man kennt, an die man gewohnt ist und die an Menschen gewohnt sind. Aber seit gestern habe ich enormen Respekt vor ihnen. Immerhin wurden vor nicht allzu länger zeit zwei Wanderer in England von Kühen totgetrampelt. Ich bleibe vorsichtig und gehe langsam über Weiden, Dinge wie "Gute Kühe, gute Kühe, das macht ihr sehr gut, bleibt einfach stehen" mit ruhiger, langsamer stimme sagend.
Immerhin fühlt man sich nach der ganzen Demütigung durch die Nutztiere und dem Gefühl von Verwundbarkeit wieder richtig stark und mächtig, wenn die Schafhherden vor einem auseinanderstieben.
Ich bin für sie sozusagen die Kuh.

Worüber ich so schreibe. :)
Ich liege übrigens im Zelt auf einem Campingplatz in Middleton, dem nächsten größeren Ort für ungefähr drei Tage. Ich habe viel zu viel zu essen gekauft und will morgen sehr früh aufstehen. Eine Länge Etappe liegt vor mir, die ich kurz vor ihrem eigentlichen Schluss in dem kleinen Ort Dufton irgendwo im Gebirge mit Wildcampen beenden möchte. Ich freue mich schon darauf. Genug zu essen habe ich ja.

Übrigens habe ich leider oft in den Tälern — wo die Orte und meist auch die Campingplätze sind — keine gute oder gar keine Handynetzverbindung. Mitten auf irgendwelchen einsamen, moorigen Bergen dann schon. Darum kann es sein, dass es manchmal etwas dauert, bis ich die Einträge hochladen kann.

So, ich hoffe, dass ich nicht von Kühen träumen werde und schlafe jetzt. Gute Nacht!

Euer Tom

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