Freitag, 31. Mai 2013

TAG SECHS: Vom New Delight Inn zum Rand des Ickornshaw Moores (ca. 15 Meilen)

Ein guter Tag. Die Sonne schien, ein frischer Wind wehte, mein Handy wurde vom Solarpanel geladen, ich hatte keine Schmerzen in den Beinen und ich hatte gleich zu Anfang eine tolle Idee für ein Thema, über das ich gerne hier auf dem Blog schreiben würde. Natürlich hab ich es vergessen. :)
Die Landschaft war heute großartig. Mal sah es einfach aus, wie englische Wiesen, dann wie ein verwunschenes Tal aus irgendeinem Märchen, dann wieder wie eine arktische Landschaft in Norwegen oder Russland, dann wie eine einsame staubige Straße in Nordamerika, wie ein kleiner, kanadischer Wald, wie grüne Hügel in Neuseeland. Natürlich kenne ich fast keinen dieser Orte wirklich und meine Urteilsfahigkeit, inwiefern sie den Originalen nahekommen, ist somit ziemlich eingeschränkt. Aber doch musste ich immer an diese Plätze denken, als ich gewandert bin.
Man trifft viele andere Wanderer: "Pennine Way?" "Yes." "All of it?" "Yes. And you?" und dann höre ich Antworten wie "Wir sind nur ein paar Stunden unterwegs." oder "Ich auch, aber ich schlafe immer in Jugendherbergen." Oder "Ich auch, aber ich gehe von Norden nach Süden." oder "Oh nein, dass ich das gemacht habe, ist schon viele, viele Jahre her. Da war hier auf dem weg viel mehr los."
Es ist schwer, seine Ziele im Auge zu behalten und gleichzeitig zu genießen. Der Mann, den ich heute getroffen habe — er ist derjenige, der nur in Jugendherbergen schläft und er trug ein rotes Basecap — hat sich zum Beispiel die Zeit genommen, einfach an einer Straßenkreuzung seine Schuhe auszuziehen, seine Socken auf seine Wanderstöcke zu hängen, den Wind seine Füße umspielen zu lassen und sich einfach auszuruhen. Das könnte ich — bis jetzt — nicht. Ich mache mir bei meinen Pausen immer Gedanken, dass ich ja so viel wie möglich schaffen will und nicht unbedingt weniger laufen will als am Vortag. Das heißt nicht, dass ich nicht auch mal stehenbleibe und mich begeistert umsehe.
Aber ich will ja auch in Schottland noch so viel wie möglich sehen. Also esse ich in meinen Pausen immer so viel wie möglich so schnell ich kann und gehe dann weiter. Aber ist das dann eine richtige Pause?
Mit solchen und Fragen wie "Wie wäre es wohl, wenn Menschen Vierbeiner wären? Und würde sich eine solche Mutation in einer zweibeinigen Gesellschaft überhaupt durchsetzen können?" beschäftige ich mich beim Wandern. :)
Gute Nacht und bis morgen!

Tom






TAG FÜNF: Von Blackstone Edge zum New Delight Inn (ca. 9 Meilen)

Das Zelt steht bestimmt fünfzig Meter weit weg und ich höre ihn trotzdem schnarchen. Ich bin auf einem winzigen Campingplatz neben einem kleinen Pub neben einer roten Telefonzelle inmitten grüner Weiden und Wiesen. In einem gigantischen Zelt nächtigt eine vierköpfige englische Familie, in einem anderen ein Outdoorvater mit seiner Tochter. Woher genau das schnarchen kommt, kann ich nicht sagen. Aber ich möchte ungern danebenliegen.
Der Tag begann mehr oder weniger furchtbar im Grau. Grauer Himmel, graue Orte am Horizont, stärker Regen, ich war schnell wieder nass. Dementsprechend führte der Weg auch entlang von Starkstromleitungen, Wasserreservoirs und nassen Straßen.
Doch irgendwann erschien am Horizont ein Obelisk und wurde größer und größer. Es hörte auf zu regnen, ich sah sogar einmal kurz den blauen Himmel. Als ich an dem alten Monument für irgendetwas angekommen war, drückte mir ein junger Engländer, der mit seiner Freundin unterwegs war, einen Zettel in die Hand und empfahl mir einen Campingplatz — diesen hier.
Bevor ich hierher konnte nahm ich aber noch einen kleinen Umweg in die Stadt Hebden Bridge. Stieg hinunter ins satte, grüne Tal. (Es wurde gleich viel wärmer!) Wanderte entlang eines Kanals voller Hausboote in den Ort. Kaufte Trekkingstöcke, Essen, Postkarten, Imprägnierspray für meine wasserundichten Regensachen, hob ein bisschen. Geld ab, setzte mich in einen Bus, in dem sich der junge Busfahrer und ein alter Gast die ganze Fahrt lang im guten Sinne im Beleidigen duellierten und stieg schließlich am Grund des Tales aus, wanderte hinauf und kam hier an.
Ich glaube nicht, dass ich ohne Streß meinen Plan, bis John O'Groats zu kommen, durchsetzen können werde. Vielleicht nehme ich von Kirk Yetholm, wo der Pennine Way endet, einen Zug direkt zum Anfang des West Highland Way. Ich merke, ich werde müde. Und um 5 ist es ja schon wider hell. Tut mir leid, leider keine langen Texte oder großen Gedanken heute!
Schlaft gut und bis morgen!:)
Tom



Mittwoch, 29. Mai 2013

TAG VIER: Vom Carriage House nach Blackstone Edge (ca. 7,5 Meilen)

Am ersten Abend habe ich mich geärgert, dass man zu diesem Zelt nur fünf Heringe bekommt und ich die extra dafür gekauften Ersatzheringe vergessen hatte. Am nächsten morgen ist mir aufgefallen, dass ich NUR die Ersatzheringe benutzt hab. Gestern Abend dann waren af einmal NUR die normalen Heringe da. Wieder nicht genug bei dem starken Wind. Irgendetwas stimmt immer nicht. Aber heute Abend sind alle Heringsorten am Zelt vertreten. Es wackelt ganz schön hin und her und da es so schräg steht, muss ich mit dem Kopf am sehr niedrigen Fußende schlafen. Aber es ist spannend! Was, wenn es nachts stürmt oder es ein Gewitter gibt? Immerhin steht das Zelt mitten auf dem Berg, nur von der einen Seite von einem riesigen Gesteinsklumpen geschützt. Was, wenn die Schafe mein Essen wollen oder ein Fuchs sich Zugang zu den leckeren Müsliriegeln verschaffen will? Zumindest vor anderen Wanderern muss ich keine Angst haben: vorhin kam eine ungefähr zehnköpfige Gruppe hier entlang— den ganzen Tag kein anderer und jetzt auf einmal gleich zehn! — und marschierte direkt an mir vorbei. Das Zelt hat, soweit ich das sehen konnte, keiner bemerkt.
Ich musste heute — bildlich und wörtlich — etwas kürzer treten, da meine Oberschenkel immernoch extrem wehtun. Morgen erreiche ich dann hoffentlich Hebden Bridge, das eigentlich das Ende der heutigen Etappe gewesen wäre.
So kaputt ich mich auch fühle, ist es trotzdem toll, unterwegs zu sein. Meine Ohren glühen und meine Wangen sind rot, ich hab Blasen an den Füßen und etwas kalte Finger. Meine Zehen im schlafsack sind warm und mein Bauch will mehr Müsliriegel. In der Ferne höre ich eine Straße, irgendwie beruhigend.
Wandern ist anstrengender als Radfahren. Man lernt, durchzuhalten.
Gute Nacht!
Euer Tom :)



TAG DREI: Vom Torside Reservoir zum Carriage House (ca 12 Meilen)

Es regnet nicht. Endlich! Ein frischer, trockener Wind flattert durch mein Zelt, ich glaube, ich kann aus dem Bad des kleinen Campingplatzes, den Trockner hören, der meine beiden T-Shirts und die beiden Unterhosen trocknet und ich liege in meiner Badehose im Schlafsack.
Aber es war schlimm. Bis zu dem Moment gegen halb neun abends, in dem ich den kleinen Pub unweit des Campingplatzes betreten habe, hat es durchgängig geregnet. Zuerst hab ich an den Beinen gemerkt, dass die Regenhose das nicht mitmacht. Dann am Oberkörper. Kurz darauf waren auch die Schuhe durch. Es war schlimm. Vor allem, weil ich nichts machen konnte. In dieser Stein-Torf-Schlamm-Moor-Heide-Landschaft kann man sich nirgendwo unter einen schützenden Baum oder unter das Dach eines alten Hauses stellen. Es gibt einfach nichts. So ging ich also nassen Fußes durchs Wasser und versuchte, mit den immer stärkeren Schmerzen in meinen Oberschenkeln klarzukommen. Resigniert und mehr oder weniger unfähig, nicht breitbeinig zu laufen, kam ich dann endlich hier an: eine Straße aus dem einen Nichts ins andere. An der Kreuzung zum Wanderweg ein hell erleuchteter Pub. Viele Autos davor. Ein paar hundert Meter die Straße hinab ein weiterer Pub. Dahinter ein paar Wohnmobile. Und nun auch drei Zelte. Davon gehört eines einer Frau, die ich heute Mittag überholt habe, die nett ist, über die ich aber auch nicht viel herausfinden konnte. Es ist knallorange. Das zweite gehört einem Briten, der seit sechs Wochen auf dem End to End Trail unterwegs ist, dem ich ja auch — sogar nach dem gleichen Wanderführer — folge. Es Ist dunkelgrün und macht einen tollen Eindruck. (wiegt aber auch 2,2 Kilogramm.) Er sagte vorhin, heute bis jetzt sei der schlimmste Tag seiner Wanderung gewesen. Das hat mich irgendwie beruhigt. Es ist also nicht immer so.

Nach einem viel zu großen Abendessen in dem kleinen Pub im Nichts habe ich noch viel Zeit im Bad verbracht, Sachen gewaschen, getrocknet, geduscht, telefoniert, mal wieder Zähne geputzt. Die Weisheit für heute: irgendwann hört der Regen auf. Und dann hat man sich's verdient. :)
Gute Nacht! Es ist 00:17. Ich muss doch schon bald wieder raus. Für morgen ist Regen angesagt. Den will ich nicht verpassen.

Euer Tom :)

Dienstag, 28. Mai 2013

TAG ZWEI: Vom Edale Youth Hostel zum Torside Reservoir (ca. 17 Meilen)

Was für ein langer Tag. Das kann alles in 14 Stunden passieren? Wahnsinn wie viel man erlebt, wenn man sich nicht entscheiden muss zwischen verschiedenen Dingen, die man erleben kann. Geht es euch im Urlaub oder zu Hause, wenn ihr so viel tun könntet, nicht auch manchmal so, dass der Tag auf einmal um ist und man vielleicht eines Dieser Dinge gemacht hat? Wenn man wandert und es nur den einen Weg gibt, vergeht die Zeit anders. Es passt mehr hinein. Mehr großartige Anblicke spektakulärer Landschaften, mehr Regentropfen, mehr andere Wanderer, Mountainbiker, Jogger (auf dem Berg!) und auch mehr extrem sportlich gekleidete Menschen, die Hundeleinen um den Bauch haben und sich von ihren Tieren ziehen lassen. Mehr Brotscheiben, die man isst, mehr Verzweiflung, da man keinen guten Platz zum Zelten findet, mehr schöne länge Handygespräche, mehr tolle Begegnungen (ich im Zug, musste zurück Manchester, da der Geldautomat in Edale, wo der Pennine Way losgeht, nicht ging. Habe nur 10£. Frage den Schaffner, was ich machen soll. Warten. Er verkauft mir einen Fahrschein. Ich gebe ihm die geforderten 10,40£. Das habe ich gerade noch so. Wechselgeld: zweimal 5£. :) die beiden Schaffner singen, sprechen über Deutschland, planen mit mir das holen des Geldes am Bahnhof in Manchester und das bekommen des nächsten Zuges zurück nach Edale. Sie sind lustig, froh, tragen lilafarbene Hemden.), mehr Schmerzen in den Oberschenkeln, mehr Befürchtungen, dass entweder die Hochspannnungsleitung über mir reißt oder meine fünf (deutlich zu wenig!) Heringe das Zelt nicht gut halten, mehr Schafe und — vor allem — mehr TORF.

Damit gute Nacht aus dem Peak-District.
Euer Tom,
Im winzigen Einmannzelt. :)



Sonntag, 26. Mai 2013

TAG EINS: Von Edale zum YHA Edale (1,5 Meilen)


Ein Tal voller Geräusche und kleiner Lämmer. Überall singen Vögel, blöken Schafe und Kühe und im Ort und in dessen Nähe hört man die vielen Menschen, die zusammen zu einer Ausbuchung beider Campingplätze — mit Platz für insgesamt 170 Zelte! — geführt haben.
Und so viel in diesem tollen Tal, in dem Der Ort Edale, wo meine Reise beginnen soll, und die Jugendherberge, in der ich heute Nacht schlafe, liegen, auch los ist: es gibt kein Handynetz. Das ist zwar — gerade am ersten Tag, an dem man doch am liebsten alle zu Hause anrufen möchte — hart, aber irgendwie auch entspannend. 
Ich sitze jetzt in meinem Bett mit knallgrüner Bettdecke in der Jugendherberge, um mich herum lesende und schnarchende junge Engländer, von denen einige morgen Mountainbike fahren wollen. Am Kinder Scout. Das ist auch für mich der erste Berg morgen. 
Und ich sehe mich gleich vor ein Problem gestellt (wobei es im Moment eher die Befürchtung, ein Problem könne entstehen, ist): ich muss morgen früh in dem winzigen Dorf, das zwar viele Camper aber sonst annähernd nichts hat, für mehrere Tage einkaufen. Denn der nächste Ort mit Kaufhallen kommt erst in 40 Meilen. Und ich habe immer noch keine Kartusche. 
Immernoch besser vorbereitet als mit dem Sommerschlafsack zum Nordkap.
Ich versuche morgen, früh aufzustehen, schnell etwas zu frühstücken, um dann so schnell wie möglich wieder den tollen Weg zwischen Lämmern, Bäumen und fantastischen Aussichten zurück nach Edale nehmen zu können.
Gute Nacht, hiermit schließe ich mich den Schnarchern an.